Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht – und jetzt?

An dieser Stelle möchte ich nicht weiter darauf eingehen wie unbedarft oder naiv man sein muss, um seine Energieversorgung in einem derart großen Umfang von einem unberechenbaren Staat abhängig zu machen.

In aller Eile wird nun nach alternativen Bezugsquellen für fossile Energieträger gesucht. Wobei man durchaus einräumen kann, dass nicht alle OPEC Mitglieder als lupenreine Demokraten zu bezeichnen sind, um im Kontext zu bleiben. Jeder Kubikmeter Erdgas, jedes Barrel Öl, ja jeder überflüssige Tritt aufs Gaspedal spült auch weiteres Geld in die Kassen von Despoten, Kriegstreibern und Finanzierern von Terrorismus.

Gern wird auf die Atomkraft als mögliche Alternative hingewiesen. Bei der Nutzung von Kernenergie hinterlassen wir verseuchten Dreck für tausende von Generationen. Kein Mensch hat bisher auch nur eine Idee, wie der nukleare Abfall dauerhaft sicher entsorgt werden könnte. Ein Zurück zum Atomstrom wäre eigensinniger Egoismus auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder.

Hoffen wir darauf, dass nun wirklich jeder erkannt hat, wie wichtig in diesem Zusammenhang regenerative Energien sind. Selbst ein recht präsenter Vertreter einer Partei, die bisher nicht im Verdacht stand, ein Freund grüner Ideen zu sein, bezeichnete jüngst erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“. Das gibt Hoffnung. Lasst uns das Momentum nutzen!

Bei alledem sollten wir bedenken, dass unsere berechtigte Sorge über die Zukunft unserer Energieversorgung in keinem Vergleich steht zu dem Leid, das die ukrainische Bevölkerung zu tragen hat. „Wir können doch nichts dafür, was Putin macht“ ist zu kurz gegriffen. Lange genug hat der Westen zu Russlands aggressiver Politik geschwiegen. Kriegerische Einsätze gegen Nachbarstaaten wurden allenfalls zur Kenntnis genommen. Bei der Annexion der Krim haben wir nur halbherzig reagiert. Als Putin in Syrien Splitterbomben und Giftgas gegen Zivilisten einsetzte, war das für uns weit genug weg, um uns wirklich darüber aufzuregen. Die Quittung erhalten wir jetzt.

Welche Lehren werden daraus gezogen? Vielleicht hilft ein Blick nach China. Auch hier schweigen wir zu permanenten Menschenrechtsverletzungen, zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit, zur Überwachung und Ausspitzelung des chinesischen Volkes, zur Inhaftierung von Andersdenkenden. Was kümmert uns die systematische Unterdrückung des Volkes der Uiguren? Wir wissen, dass sie in Konzentrationslager gesperrt und dort umerzogen werden sollen. Aber auch das ist ja so weit weg, dass es uns nicht weiter interessiert. Das wiederholte militärischen Säbelrasseln gegen Taiwan wird als genauso unbedeutend bewertet wie frühere Drohungen Putins. Dennoch (oder gerade deswegen?) könnte sich hier der nächste Brennpunkt auftun. Hier droht das nächste Blutvergießen. Hier droht das nächste Desaster in der logistischen Kette. Und plötzlich ist gar nichts mehr weit weg.

Denn inzwischen ist unsere Wirtschaft in solchem Umfang von anderen abhängig, dass sie in gewisser Weise erpressbar geworden ist. Vielleicht ist nun der Zeitpunkt gekommen, mehr ökonomischen Weitblick walten zu lassen. Natürlich leben wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Zu einem bestimmten Umfang macht das auch Sinn und kann für alle vorteilhaft sein. Wenn die Überglobalisierung uns aber in Situationen führt, bei denen wir unsere Werte und Grundsätze verleugnen müssen, sollten wir die Weichen neu stellen.

Dafür verantwortlich sind nicht nur „die da oben“. Jeder Einzelne kann durch seine Haltung und sein Tun dabei mithelfen, die Welt wieder ein kleines Stückchen lebenswerter zu machen. Tragen auch Sie Ihren Teil dazu bei.

Bernd Gruschka
Bündnis 90 / Die GRÜNEN

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Ein Kommentar

  1. Hallo Bernd,

    Ich stimme grundsätzlich zu. Zwei Ergänzungen:

    1) Solange wir in der Kriegsrhetorik bleiben, wird das nichts mit Putin. Sprich: Verhandlungen auf Augenhöhe müssen her – und dazu gehört eben anzuerkennen, dass „wir“ (= Westen, USA, Nato) genauso viel Dreck am Stecken haben wie Putin. Aktuelles Beispiel: Kein Mensch schert sich um den völkerrechtswidrigen Einmarsch des Nato-Mitglieds Türkei in den Irak.

    2) Viele weitere Dinge stehen hier:

    https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ukraine-krieg-der-deutsche-lumpen-pazifismus-kolumne-a-77ea2788-e80f-4a51-838f-591843da8356

    Beste Grüße aus Frankreich

    Rüdiger